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Österreich: Auf akademischen Weiterbildungspfaden

Am 24.2.2024 erschien die erste Ausgabe des österreichischen Nachrichtenmagazins profil – EXTRA Magazins 2024 zum Thema „Karriere“ mit 66 hoch interessanten Seiten, darunter auch die Seiten 30 und 31

Auf akademischen Weiterbildungspfaden

Text: Daniela Schuster

Berufsbegleitendes Lernen gewinnt in Zeiten sich ständig ändernder Arbeitswelten weiter an Bedeutung. Dementsprechend groß ist der Fortbildungsmarkt. Auch die österreichischen Hochschulen mischen kräftig mit. Mit der 2021 beschlossenen Novelle des Universitätsgesetzes wurden die Weiterbildungsstudien neu organisiert. Die berufsbegleitenden Bachelorstudien ermöglichen jetzt noch mehr Menschen den Zugang zu akademischer Weiterbildung.

Wenn sich die Anforderungen im Berufsleben stetig wandeln, beginnt die Qualifikation der Erstausbildung irgendwann zu schimmeln. Ein Update muss her. Doch wer sich in Österreich weiterbilden möchte, braucht fast schon eine Weiterbildung in Sachen Weiterbildung. Allein in der Weiterbildungs-Datenbank des Arbeitsmarktservice (AMS) sind fast 30.000 Kurse von rund 2.000 Bildungseinrichtungen eingetragen – darunter auch die berufsbegleitenden Lehrgänge und Weiterbildungsstudien an den fast 80 öffentlichen und privaten Universitäten, Fach– und pädagogischen Hochschulen zwischen Boden- und Neusiedlersee.

Reformpaket für mehr Durchblick

Einen solchen akademischen Pfad der Weiterbildung einzuschlagen, dafür haben sich laut Martin Stieger, Professor für Berufsbildung und Wirtschaftspädagogik und Rektor der Allensbach Hochschule in Konstanz, in den letzten Jahren über 35.000 Österreicher:innen entschlossen. In der Vergangenheit konnte dieser Fortbildungsweg „mit einem Associate Degree – z.B. als akademische:r Immobilienmakler:in – oder auch einem Mastergrad der Weiterbildung abgeschlossen werden, der aber nicht zur Promotion berechtigte“, so Stieger.

Die mehr als 60 verschiedenen akademischen Titel, die verliehen wurden, reichten von Klassikern wie dem „Master of Science“ oder dem „Master of Advanced Studies“ bis hin zu exotischen Graden wie z.B. dem „Master of Toxicology“. „Durch die Vielzahl an Titeln bleibt völlig unklar, welche Qualifikationen damit verbunden sind“, schreibt das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) auf seiner Webseite. Ein Reformpaket soll das nun ändern. „Die akademischen Expertengrade, wie der erwähnte akademische Immobilienmakler bleiben gleich“, sagt Stieger. „Aber neben das System der Regelstudien wurden auch außerordentliche Studien in einer ähnlichen Architektur gestellt.“ Die Änderungen sollen nicht nur für bessere Orientierung im hochschulischen Weiterbildungsangebot sorgen, sondern auch die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Hochschulsystems stärken.

Mehr Durchlässigkeit, mehr Möglichkeiten

Die Neuorganisation der Weiterbildungsstudien in Österreich fußt auf der 2021 beschlossenen Novelle des Universitätsgesetzes. Die neuen Regelungen gelten seit 1. Oktober 2023. „Das Reformpaket vereinheitlicht die Rahmenbedingungen für die Weiterbildungsstudien, die so genannten außerordentlichen Studien, und gliedert sie noch stärker in die Bologna-Struktur (Bachelor/Master/PhD) ein“, erklärt Experte Stieger. Die Titelvielfalt wurde im Zuge dessen reduziert. Universitäts- und Hochschullehrgänge im Bereich der allgemeinen Weiterbildung schließen nun mit einem „Bachelor of Arts (Continuing Education)“, kurz BA (CE), oder einem „Bachelor of Science (Continuing Education)“, kurz BSc (CE), bzw. dem „Master of Arts“ (Continuing Education, kurz MA (CE) oder dem „Master of Science (Continuing Education“, kurz MSc (CE) ab. An der Universität für Weiterbildung Krems kann zum Beispiel ein Bachelorstudium Psychotherapie mit dem neuen BSc (CE) gekrönt werden. Die Abschlüsse im Bereich der beruflichen Höherqualifizierung lauten Bachelor Professional (BPr) bzw. Master Professional (MPr).

Lernen auf universitärem Niveau

Die neuen Regelungen bringen eine bessere Durchlässigkeit zwischen Regel- und Weiterbildungsstudien. Außerdem ermöglichen die berufsbegleitenden Bachelorstudien jetzt noch mehr Menschen den Zugang zu akademischer Weiterbildung. Die neuen Grade Bachelor Professional und Master Professional eröffnen weitere Studienchancen für Berufspraktiker: Sie können sich mit und ohne Matura an einer Hochschule fortbilden.

Letztere Neuerung begrüßt Martin Stieger ganz besonders: „Für Lehrgänge, in denen der neue akademische Grad BPr oder MPr verliehen werden soll, ist eine erweiterte Zusammenarbeit mit einer außerhochschulischen Bildungseinrichtung erforderlich. Diese Kooperation ermöglicht es, Programme noch konkreter und zielgerichteter auf spezifische Fachrichtungen auszurichten. Hier können zentrale Kompetenzen erworben werden, die auf die Anforderungen der aktuellen und zukünftigen Arbeitswelt vorbereiten. Akademische Qualität plus berufspraktische Inhalte – aus meiner Sicht eine gute Lösung.“

So wird etwa an der FH Salzburg mit dem Holzbau Bachelor Professional ein Lehrgang für Holzbau-Pratiker:innen angeboten. Um das neue Ausbildungskonzept zu entwickeln, hat sich die FH mit dem Holztechnikum Kuchl, der HTL Hallein und der Salzburger Landesinnung Holzbau zusammengeschlossen.

Wie die neuen Titel und Angebote angenommen werden, wird sich erst noch zeigen. Dem schon vor der Reform großen Bedürfnis, sich auf universitärem Niveau weiterzubilden, kommen sie jedenfalls entgegen. Doch woher das Interesse daran, wenn es doch auch so viele andere Institutionen gibt, die Programme für berufs- und lebensbegleitendes Lernen anbieten? Und die vor allem weniger kosten. Schließlich schlägt ein MBA im Schnitt mit rund 15.000 Euro zu Buche – wenn auch steuerlich absetzbar.

Vorteile von Weiterbildungsstudien

Die Gründe, sich für ein Weiterbildungsstudium zu entscheiden statt für ein nicht-akademisches Programm, sind so individuell wie die Bildungskarrieren selbst. Sie beginnen beim Wunsch, sich für eine Führungsposition zu qualifizieren. Und reichen bis zum Argument, dass akademische Programme oftmals besonders flexibel zu absolvieren sind. Die Kombination von Präsenzphasen und digitalen Lernformaten wie Blended Learning unterstützt das berufsbegleitende Lernen und die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie.

Das Image der akademischen Institution begründet aber sicher eine Qualitätsvermutung, die bei Wahl dieses Weges auch eine groß Rolle spielt“, meint Martin Stieger. Für die Unis und Hochschulen ist ihr USP jedenfalls klar: „Aktuelle Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Methoden fließen bei wissenschaftlicher Weiterbildung von der Forschung in die Lehre ein, verbunden mit den entsprechend hohen Qualitätsstandards“, ist etwa auf der Webseite der Universität für Weiterbildung Krems nachzulesen.

Sichere Verrechnungseinheit

Ein weiteres gutes und noch zu wenig bekanntes Argument für die außerordentlichen Studien bringt Stieger: „Es besteht die Möglichkeit, Berufsrechte über diese Weiterbildungsstudien zu begründen. Die nötige Berufspraxis vorausgesetzt, kann man mit diesen Abschlüssen z.B. die reglementierten Gewerbe der Unternehmens- oder Vermögensberatung, als Immobilientreuhänder oder auch im Gastgewerbe anmelden.“

Für Stieger liegt der Vorteil akademischer Weiterbildung gegenüber anderen Bildungswegen vor allem darin, „dass sie die Kompetenz, die vermittelt wird, nach außen sicht- und vergleichbar macht über akademische Grade. Auch ECTS-Punkte gibt es nur an Hochschulen. Sie sind die einzige Verrechnungseinheit, die innerhalb der EU und darüber hinaus Bestand hat.“

Die Credits würden es zudem erlauben, sich auch in Häppchen weiterzubilden – ganz nach dem Konzept der so genannten „Stackability“. Es ermöglicht Studierenden, zum Beispiel bloß ein Modul zu belegen oder im Rahmen einer Bildungskarenz oder Bildungsteilzeit zunächst einmal nur ein Semester zu studieren und diese Abschnitte erst später zu einem Kurzprogramm, einem Bachelor- oder Masterstudium der Weiterbildung zusammenzusetzen. „Wer sich vielleicht nicht gleich ein ganzes Masterprogramm zutraut, kann sich so zum Beispiel die in einem Zertifikatskurs gesammelten Punkte anrechnen lassen, wenn er sich doch irgendwann entscheidet, das Studium fortzusetzen“, erklärt der Professor.

Auf Herausforderungen vorbereiten

Die Unis und Hochschulen haben die sich durch die Reform ergebenden Möglichkeiten jedenfalls genutzt: Sie haben ihre Studien und Studienarchitektur weiterentwickelt und kürzere und kombinierbare Programme erarbeitet, die sie fleißig bewerben. Und noch etwas heben die Hochschulen in Bezug auf ihre Angebote gerne hervor: Dass sie relevante Fragen gesellschaftlicher, technologischer und organisationbezogener Entwicklungen aufgreifen und auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen vorbereiten.

Für Martin Stieger ist das allerdings eine Selbstverständlichkeit: „Wenn man auf dem Weiterbildungsmarkt mit einem Angebot Geld verdienen will – sei es ein akademisches oder nicht-akademisches Programm – dann muss man auch etwas anbieten, was marktfähig ist. Die Absolvent:innen müssen den Anforderungen des Arbeitsmarkts genügen. Der gute Ruf der akademischen Weiterbildung bei Unternehmen spricht dafür, dass dies bislang gelungen ist.

profil Extra – Karriere

24. 02. 2024, S 30,31

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Fragen zum Beitrag, zu interessanten Studienangeboten und Lehrgängen bitte an martin.stieger@allensbach-hochschule.de

Prof. Dr. Dr. Martin Stieger 

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Hat Corona das Konzept des „Flipped Classroom“ widerlegt? Selbst große Philosophen können sich irren:

In der Jahresausgabe des österreichischen Nachrichtenmagazins profilDie Wilden 20er Jahre“ kommt der von mir geschätzte Kollege Konrad Paul Liessmann in einem langen und hoch interessanten Interview ausgiebig zu Wort.

Einer Antwort des Philosophen muss ich allerdings entgegnen.

Hier die Frage von Frau Angelika Hager:

Profil: Sie waren auch lange vor Corona immer ein leidenschaftlicher Warner vor einer Bildungskrise, die uns laut Experten nach Jahren im Ausnahmezustand nun wieder verstärkt drohen wird.

Die Antwort des Professors für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien:

Konrad Paul Liessmann: Tatsächlich müssten jetzt alle glücklich sein, Lehrer wie Schüler, denn es ist zwangsweise eingetreten, was die digitale Fraktion seit Jahren als ultimative pädagogische Reform vehement einfordert: den sogenannten „Flipped Classroom“, bei dem die Schüler hauptsächlich zu Hause digital recherchieren und arbeiten und nur offene Fragen im direkten Kontakt mit Lehrern in wenigen Stunden klären. Interessanterweise hat sich genau dieses Konzept in der Pandemie für viele, vor allem sozial schwache Kinder als ziemliche Katastrophe erwiesen. Nur sagt das niemand. Andererseits: Die realen Auswirkungen für Kinder und Jugendliche werden vielleicht auch dramatisiert: Die Digital Natives sind auch vor Corona in sozialer Isolation tage- und nächtelang am Smartphone und vor dem Computer gehangen.

Hier hätte ich auf eine Antwort zur durch Corona vertieften Bildungsungleichheit gehofft, also dem Zusammenhang zwischen soziokulturellem Hintergrund der Schülerinnen und Schülern (SuS) und den verschiedenen Dimensionen des Bildungserfolgs wie Kompetenzständen oder Kompetenzentwicklungen.

Denn gerade Corona hat das erhebliche Defizit an digitalgestützten Lehrkonzepten, den  Ausstattungsmangel an Schulen und Hochschulen und vor allem in Haushalten sozial schwacher SuS und Studierenden sowie fehlender Kompetenzen beim pädagogischen Personal an Schulen und Hochschulen offenbart.

Corona hat genau nicht das System „Flipped Classroom“ widerlegt, sondern gnadenlos offenbart, wie schmählich unvorbereitet Österreichs Schulen und Hochschulen der unvermeidbaren Digitalisierung ausgesetzt sind.

„Flipped Classroom“ mit dem Ziel einen lernzentrierten Unterricht (statt einem lehrzentrierten Unterricht) zu etablieren, der auf die Vorerfahrungen, Interessen und Hintergründe der Lernenden Rücksicht nimmt und aufbaut, ermöglicht als Methode eine Individualisierung und Differenzierung im Unterricht: die Lernenden können individuell gefördert und gefordert werden.

„Flipped Classroom“ stellt den traditionellen Unterricht in der Tat auf den Kopf:

Beim traditionellen Unterricht findet die Erarbeitung des Stoffes im Unterricht statt. Im Unterricht wird Wissen vermittelt – der Großteil der Unterrichtszeit wird für den Input verwendet. Die Übungsphase kommt oft viel zu kurz und wird – auch aus dem resultierenden Zeitmangel – in die Hausübung verlagert.

Beim Konzept „Flipped Classroom“

  • werden insbesondere Videos bzw. Screencasts, anhand deren man ein neues Thema erarbeiten kann, den Lernenden mitgegeben.
  • Die Lernenden sehen sich diese Videos zuhause an und erlernen so den neuen Inhalt.
  • Der Input passiert im eigenen Tempo, wann man will und wo man will.
  • Im Unterricht bleibt somit Zeit um Übungen durchzuführen.
  • Die Lehrkraft wird zum Coach und kann individuell unterstützen.

Das Konzept „Flipped Classroom“ sieht natürlich die entsprechende Ausstattung der Schulen und Hochschulen mit z.B. Laptops und gut pädagogisch und didaktisch geschultes Lehrpersonal vor, welches organisiert und geplant ein versiertes Konzept umsetzt und in keiner Weise mit durch schiere Not geborenem Husch-Pfusch im Corona-Lockdown verwechselt werden darf.

Rückfragen zum Thema „Flipped Classroom“ und zu spannenden Fernlehr- und Studienangeboten bitte an martin.stieger@viennastudies.com

Prof. Dr. Dr. Martin Stieger 
hält eine Professur für Berufsbildung und Wirtschaftspädagogik, lehrt an der Allensbach Hochschule in Konstanz, ist dort auch Rektor, arbeitet für VIS – Vienna International Studies , die Österreichische Plattform für gesundheitsbezogene Berufe (OGB), das IHM Institut für Heath Management sowie als Unternehmensberater und Wirtschaftsmediator in Wels (OÖ)

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